An
Sächsische Staatsoper Dresden
Frau Intendantin Dr. Ulrike Hessler
Theaterplatz 2
01067 Dresden
Berlin, 11. März 2012
Sehr geehrte Frau Dr. Hessler
und ebenso zur freundlichen Kenntnisnahme durch Herrn Freyer, Frau Schernau und Herrn Zühlsdorf,
mit Ihrer Inszenierung der Oper „Die Zauberflöte“, Premiere am 3. Juni 2006, für die Sie eine weitere Aufführungserie ab dem 17. März 2012 planen, schließen Sie sich in einigen Teilen, insbesondere der Ausstattung und der Rollenzuschreibung einer verheerenden Tradition an: Der Tradition des „blackface“, also das Schwarzschminken weißer Schauspieler_innen, Sänger_innen, Tänzer_innen, Comedians u.w.m. Diese Form der Travestie diente speziell der Herabsetzung und Stereotypisierung von Menschen mit Schwarzer Hautfarbe und Menschen of Color zur Unterhaltung und Hebung des Selbstwertgefühls von Angehörigen der weißen Dominanzkultur. Diese Praxis ist also im Wesen rassistisch. (Wobei der sozialhistorische Kontext dieser Darstellung nicht außer acht zu lassen ist.)
Mir ist bewußt, daß die Premiere dieser Produktion bereits einige Jahre zurückliegt. Durch verschiedene Umstände bin ich aber erst jetzt auf diese Inszenierung aufmerksam geworden.
Sehr geehrte Frau Dr. Hessler, Sie können den Einwand erheben, daß die Illustration der Figur des „Monostatos“ nicht auf diese Tradition rekurriert, schon allein, weil das Werk in einer viel weiter zurückliegenden Epoche, einer sich von den darauf folgenden absolut unterscheidenden Kultur entstanden ist.
Fakt ist aber, daß die Grundlagen für diese Tradition in „unserem alten“ Europa gelegt wurde. Hier wurde einerseits die Schwarze Hautfarbe als Symbol des Bösen in der Komödie entwickelt. Und der sehr „unkomische“ ideologische Boden dieser Konvention liegt in den Merkmalen, die „Schwarzen Figuren“ und damit eben auch dem „Monostatos“ zugeordnet werden: dumm, böse, unterwürfig, lüstern, schreckhaft, feige und andererseits theoretisierten hier ‚unsere großen deutschen Philosophen‘ (allen voran Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel) über die ‚Unterschiede der Rassen‘. Hegel läßt uns durch seine Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte an folgendem „Wissen“ teilhaben: „Bei den N****N ist nämlich das Charakteristische gerade, daß ihr Bewußtsein noch nicht zur Anschauung irgendeiner festen Objektivität gekommen ist, wie zum Beispiel Gott, Gesetz, bei welcher der Mensch mit seinem Willen wäre und darin die Anschauung seines Wesens hätte. [ … ] Der N***R stellt, wie schon gesagt worden ist, den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar: von aller Ehrfurcht und Sittlichkeit, von dem, was Gefühl heißt, muß man abstrahieren, wenn man ihn richtig auffassen will; es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden.“
Zur Zeit der Entstehung der „Zauberflöte“ mag das common sense gewesen sein – soll es das auch im 21. Jahrhundert bleiben?
Auch wenn sich Herr Freyer nach Kräften bemüht hat, seiner Inszenierung etwas Märchen- und Zauberhaftes zu geben, rekurriert er in der äußeren Zeichnung der Figur des „Monostatos“ auf die oben beschriebenen Stereotype, wie sie massenhaft in deutschen Kinderbüchern, Illustrationen, Comics etc. vertreten sind.
Fakt ist weiterhin, daß die diskriminierenden, aus kolonialhistorischen Zusammenhängen hervorgegangenen Praktiken bis zum heutigen Tag in Deutschland und auch europaweit wieder und wieder fröhliche Urständ feiern. Ob im Theater, in von Fernsehsendern produzierten Musik- und Comedy-Shows, Karnevals- oder anderen Traditionsvereinen.
Ich appelliere an Ihre künstlerische Kompetenz und bitte Sie um humanistische Weitsicht: Ändern Sie für kommende Aufführungen die Maskierung der Figur des „Monostatos“, distanzieren Sie sich von einer klar negativ konnotierten „Schwarzmalerei“, einer überkommenen Figureninterpretation, wagen Sie eine Neudeutung, lassen Sie es sich angelegen sein, angestammte Vorurteile und diskriminierende Allgemeinplätze dialektisch zu hinterfragen und zu überwinden.
Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ich bitte um Ihr wohlwollendes Verstehen.
Hochachtungsvoll
Wollte man alle diese Argumente nicht gelten lassen: als Regisseur wissen Sie natürlich, daß Änderungen grundsätzlich nach einer Premiere der Zustimmung des jeweiligen Regisseurs bedürfen. Wir werden Herrn Freyer aber ganz sicher nicht ansprechen, denn unserer Meinung nach zeigt die ganze Inszenierung, daß gerade ihm sicher kein Rassismus vorzuwerfen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ulrike Hessler
Intendantin